Am 30. Juni 2011 beschloss der Bundestag den sogenannten »Atomausstieg«.

Eine vorgeschobene Ethikkommission lieferte die bestellte Rechtfertigung, dass dieser Beschluss in Ordnung ist. Die sollte Widersprüche und Kritik zukleistern. Es stellt sich nun die Frage, warum man bei der Besetzung dieser Kommission auf Energiefachleute verzichtet hat.

Es gibt verschiedene Gründe, warum man bei der Ethikkommission Atomkraft auf Energie-Fachleute verzichtet hat. Einer der Gründe könnte gewesen sein, dass man eine breitere Diskussion ermöglichen wollte, die über technische Details hinausgeht und auch ethische, soziale und politische Aspekte berücksichtigt. Es war der Wunsch der Bundesregierung, dass die Kommission eine öffentliche Debatte über die Atomenergie führt und somit auch ein breiteres Spektrum an Meinungen und Perspektiven einbezieht.

Ein weiterer Grund könnte gewesen sein, dass man die Kommission als unabhängiges Gremium positionieren wollte, das unvoreingenommen und frei von Interessenkonflikten arbeitet. Indem man auf Energie-Fachleute verzichtet, konnte man sicherstellen, dass die Kommission nicht von bestimmten Interessengruppen beeinflusst wird.

Es wird  behauptet,  dass die Kommission trotz des Fehlens von Energie-Fachleuten auf eine umfangreiche Expertise zurückgreifen konnte. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Studien und Berichte ausgewertet, Fachleute konsultiert und umfangreiche Expertenanhörungen durchgeführt. Die Kommission hat somit auf eine breite Basis an Wissen und Erfahrung zurückgegriffen, um ihre Empfehlungen zu formulieren. Eine These, die man glauben kann oder auch nicht, befindet Horst Roosen, Vorstand des UTR |Umwelt|Technik|Recht| e.V. und Initiator des VCD Verbrenner Club Deutschland im UTR e.V.

Wenn man eine breite Diskussion wünscht, dabei aber die entsprechenden Fachleute nicht hört, ist das doch zumindest ungewöhnlich. Oder? Es ist sicherlich ungewöhnlich, wenn man bei der Diskussion über ein komplexes Thema wie Atomenergie auf Fachleute aus diesem Bereich verzichtet. Fachleute können eine tiefere Expertise haben und dazu beitragen, technische Details besser zu verstehen und zu analysieren.

Allerdings ist es auch möglich, dass man bewusst auf Fachleute verzichtet, um eine breitere Diskussion zu ermöglichen und die Diskussion auf andere Aspekte auszudehnen, wie zum Beispiel ethische, soziale oder politische Fragen. Eine solche Entscheidung könnte darauf zurückzuführen sein, dass man der Meinung ist, dass die Debatte über Atomenergie nicht nur von Fachleuten, sondern auch von der Gesellschaft insgesamt geführt werden sollte.

Man wollte also ein politisch gewünschtes Ergebnis haben? Wir können und wollen die Motive und Absichten von politischen Entscheidungsträgern weder beurteilen noch bewerten. Es ist jedoch möglich, dass politische Entscheidungsträger ein bestimmtes Ergebnis bevorzugt haben und die Zusammensetzung der Ethikkommission Atomkraft entsprechend gewählt haben, um dieses Ergebnis zu unterstützen.

Auch wenn die Kommission keine Fachleute aus der Energiebranche hatte, konnte sie wahrscheinlich auf eine breite Palette an Expertise zurückgreifen, um ihre Empfehlungen zu formulieren. Ob die damaligen Entscheidungsträger alle verschiedenen Interessen und Perspektiven berücksichtigten, um die bestmögliche Entscheidung für die Gesellschaft zu treffen, kann aus heutiger Sicht zumindest bezweifelt werden.

Lesen Sie hier bei uns den Beitrag von  Holger Douglas: „Der Ausstieg aus Kohle und Kernkraft ist mit »Ethikkommissionen« gepflastert“

Der Autor ist der Wissenschafts- und Technikjournalist Holger Douglas, der schon  seit langem Dokumentationen mit Schwerpunkt »Wissenschaft und Technik«. produziert und früher für die öffentlich-rechtlichen Anstalten arbeitete, als die noch Etats und einen Sinn dafür hatten. Heute arbeitet Douglas für Sender auf dem weltweiten Markt, darunter das erste wöchentliche Wissenschaftsmagazin »An Kathab« für den arabischen Sender Al Jazeera.

Keine unabhängige Wissenschaft

Der Ausstieg aus Kohle und Kernkraft ist mit »Ethikkommissionen« gepflastert

In der 17-köpfigen Ethikkommission Atomkraft saß niemand vom Fach. Die Politik-Aufgabe der Laien war: »Begründen Sie die Notwendigkeit des Atomsausstiegs!« Unabhängige Professoren hätten diese Aufgabenstellung der Ethikkommission vor 10 Jahren abgelehnt.

Der Weg zum Ausstieg aus Kohle und Kernkraft in Deutschland ist mit »Ethikkommissionen« gepflastert. Die Grundlagen wurden vor zehn Jahren gelegt. Am 30. Juni 2011 beschloss der Bundestag bekanntlich den sogenannten »Atomausstieg«. Eine vorgeschobene Ethikkommission lieferte die bestellte Rechtfertigung, dass dieser Beschluss in Ordnung ist. Die sollte Widersprüche und Kritik zukleistern.

Das passt in ein Zeitalter, in dem nicht mehr mit Interessen, politischen Argumenten oder gar gleich mit wissenschaftlichen Begründungen argumentiert wird, sondern mit Moral und Ethik.

In dieser Ethikkommission saßen Soziologen, eine Philosophin, eine Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin, eine Politikwissenschaftlerin – jedoch kein einziger Energiefachmann oder gar Kraftwerksfachmann. Die hätten mit ihrer Sachkompetenz nur gestört.

Doch erst zehn Jahre später war offenbar die Zeit reif für eine Diskussion darüber, wie unabhängig und kompetent tatsächlich diese Kommission war und wie unabhängig heute noch Wissenschaft ist.

Denn genau zehn Jahre danach hat ein Wissenschaftler einen deutlichen offenen Brief an die Mitglieder der Ethikkommission geschrieben und ein Urteil über das Versagen von Wissenschaft gefällt, wie es härter nicht ausfallen kann.

„Zusammenfassend komme ich zu dem Schluss, dass die drei Professorinnen und fünf Professoren der Ethikkommission dem Leitbild unabhängige Wissenschaft nicht gerecht geworden sind. Sie haben sich allem Anschein nach vereinnahmen lassen und das politisch erwartete Ergebnis geliefert.«

Der das geschrieben hat, ist André Thess, Professor für Thermodynamik. Er leitet den Bereich „Energiespeicherung“ an der Universität Stuttgart.
Tichys Einblick veröffentlichte im Mai 2021 diese Kritik. Die rief eine sehr lebhafte Diskussion auch unter Wissenschaftlern hervor. Es hat sich ein Netzwerk „Freiheit der Wissenschaft“ gegründet.
Angesichts der Abschaltungen der letzten Kernkraftwerke in Deutschland muss noch einmal an diesen offenen Brief mit Sprengkraft erinnert werden.

In der 17-köpfigen Ethikkommission Atomkraft saßen – dies zu Erinnerung – unter anderem der Soziologe Ulrich Beck von der LMU München, der Mikrobiologe Jörg Hacker von der Universität Würzburg, der Forst- und Bodenwissenschaftler Reinhard Hüttl von der BTU Cottbus, die Philosophin Weyma Lübbe von der Universität Regensburg, die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin Lucia Reisch von der Copenhagen Business School, der Soziologe und Risikoforscher Ortwin Renn von der Universität Stuttgart sowie die Politikwissenschaftlerin Miranda Schreurs von der TU München befanden. Die lieferten – wie bestellt – die Grundlage für den Atomausstieg.

Seinen Brief richtete Thess an Professor Matthias Kleiner von der TU Dortmund. Kleiner ist nicht irgendwer, sondern war Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und stand für »die Stimme der Wissenschaft« (Thess) in jener legendären Ethikkommission. Dessen Worte bei der öffentlichen Vorstellung des Abschlussberichts klangen genauso hehr und hohl wie »Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft«, so der Titel der Empfehlung: »Wir haben unsere Arbeit in diesen zwei Monaten in aller Unabhängigkeit getan […] das möchte ich zu Beginn deutlich hervorheben und an dieser Stelle auch meinen Dank insbesondere für diese Unabhängigkeit, die wir genossen haben, an die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin sagen.«

Thess will in seinem offenen Brief nicht die Frage »Atomausstieg – richtig oder falsch« erörtern, sondern fragt, ob die acht Professoren tatsächlich unabhängig votiert haben und damit dem Vertrauen gerecht geworden seien, »welches die Gesellschaft beamteten Hochschullehrern auf Lebenszeit schenkt«. Ihn interessiert eine Diskussion über die tatsächliche Unabhängigkeit von Wissenschaft.

Denn jene merkwürdige Empfehlung der damaligen Ethikkommission ist immer noch eine der erstaunlichsten Vorgänge jener unseligen »Energiewende«. Auf dieses Votum stützte sich bekanntlich die Politik bei ihrem deutschen Sonderweg »Atomausstieg«.

In sechs an Kleiner gerichteten Thesen fasst Thess seine Kritik zusammen:

1. »Das von Ihnen repräsentierte Kollegium verfügte nicht über hinreichende Fachkompetenz, um die Risiken eines Verbleibs in der Kernenergie gegenüber denen eines Ausstiegs umfassend und sachgerecht abzuwägen.«
Das zählte seinerzeit zu den verblüffendsten Tatsachen, dass sich in der Ethikkommission kein Kraftwerkstechniker und kein Fachmann befand, der sich mit der Energieversorgung eines Industrielandes auskennt. Der hätte vermutlich nur gestört, indem er auf physikalische Tatsachen hingewiesen hätte.


Schwer wiegt auch die nächste These:

2. »Das von Ihnen repräsentierte Kollegium hat eine Aufgabenstellung mit politisch vorgegebenem Untersuchungsergebnis anscheinend widerspruchslos entgegengenommen.«
Bundeskanzlerin Merkel, Bundeswirtschaftsminister Brüderle und Bundesumweltminister Röttgen formulierten die Aufgabe der Ethikkommission so, dass die nur noch über das wie zu befinden hatte, nicht aber, ob eine »Energiewende« möglich und sinnvoll ist. »Wie kann ich den Ausstieg mit Augenmaß so vollziehen, dass der Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ein praktikabler ist, ein vernünftiger ist, und wie kann ich vermeiden, dass zum Beispiel durch den Import von Kernenergie nach Deutschland Risiken eingegangen werden, die vielleicht höher zu bewerten sind als die Risiken bei der Produktion von Kernenergie-Strom im Lande?«
Unabhängige Professoren hätten diese Aufgabenstellung (»Begründen Sie die Notwendigkeit des Atomsausstieges!«) abgelehnt.

3. »Das von Ihnen repräsentierte Kollegium hat nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die politische Vorgabe durch ein Sondervotum zu einer ergebnisoffenen Aufgabe auszuweiten und die Risiken von Kernenergieausstieg versus Kernenergieverbleib aus ganzheitlicher Perspektive fachgerechtabzuwägen.«


Merkwürdig war damals die Einstimmigkeit des Votums der Professoren, die Thess heute anprangert. Wissenschaft lebt vom Diskurs, Aufgabe der Ethikkommission wäre gewesen, ein gesellschaftliches Meinungsbild von allen Seiten unparteiisch darzustellen.

4. »Das von Ihnen repräsentierte Kollegium hat den internationalen Stand der Wissenschaft unberücksichtigt gelassen und dadurch einem nationalen Alleingang Deutschlands Vorschub geleistet.«


Die Professoren in der Ethikkommission haben – so Thess – den falschen Eindruck erweckt, Wissenschaftler in aller Welt lehnten Atomenergie ab. Dagegen erweist sich heute der deutsche Weg als Sonderweg, für den die Professoren keine sachliche Begründung geliefert hätten.

5. »Das von Ihnen repräsentierte Kollegium hat anscheinend versäumt, bei der Formulierung des Abschlussberichts eine klare Trennung von Fakten und Meinungen durchzusetzen.«
Thess weist darauf hin, dass glaubwürdige und unabhängige Wissenschaftler klar zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und persönlichen Werturteilen trennen würden. Das haben die Professoren der Ethikkommission nicht getan.

6. »Das von Ihnen repräsentierte Kollegium hat einem Dokument zugestimmt, dessen Präsentationsform den Grundsätzen wissenschaftlichen Politikberatung nicht gerecht wird.«
Denn Wissenschaft müsse klar zwischen wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen und Handlungsempfehlungen trennen. Das ist in der Ethikkommission nicht geschehen. Vielmehr betonen die eilfertigen Professoren »Die Energiewende muss gestaltet werden« und unterscheiden nicht zwischen Fragestellung, Voraussetzungen, Methoden, Ergebnissen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Sie appellieren unter dem Begriff »Gemeinschaftswerk Energiezukunft Deutschlands« an Verbundenheit und Eintracht, anstatt dass sie Fakten herausarbeiten.

Das Scheitern von Atomausstieg und Energiewende machen deutlich: Wenn Wissenschaft meint, politisch werden zu müssen, muss sie scheitern.

Mit Professor Thess hatte damit endlich ein unabhängiger Wissenschaftler eine Diskussion über die Unabhängigkeit von Wissenschaft angestoßen. Er erinnerte nicht zuletzt an den Beamtenstatus, der allen Professoren intellektuelle Freiheit und Unabhängigkeit von politischen Vorgaben ermöglicht.

Häufig genug ist davon nichts mehr zu bemerken: ein großer Teil des Elends der derzeitigen katastrophalen Lage.

***

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